Karriere & Beruf

Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz – wer kümmert sich?

Fachlich geprüft von

Inês Lopes

Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz ist längst kein Nischenthema mehr. Gerade an einem Aktionstag wie dem Nationalen Tag des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM Day) rückt die Frage in den Vordergrund: Wer kümmert sich eigentlich um die mentale Gesundheit im Job? Arbeitgeber:innen oder Arbeitnehmer:innen – oder beide? Tatsächlich tragen alle Beteiligten Verantwortung dafür, dass die Arbeit nicht krank macht, sondern idealerweise sogar zum Wohlbefinden beiträgt. Warum das so wichtig ist, zeigen aktuelle Zahlen: EU-weit leiden rund 84 Millionen Menschen an psychischen Problemen, und die daraus resultierenden Kosten werden auf mehr als 4 % des Bruttoinlandsprodukts (etwa 600 Milliarden Euro) geschätzt [1]. Psychische Gesundheit und Arbeit sind eng verknüpft: Belastungen im Job wie hoher Zeitdruck, Überforderung oder Konflikte können Stress und Erkrankungen auslösen, während umgekehrt eine gute mentale Verfassung die Arbeitsfähigkeit und Produktivität erhöht [1].

Im Folgenden betrachten wir ausgewogen die Perspektiven von Arbeitgeber:innen und Beschäftigten. Welche Verantwortung haben Unternehmen für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden? Was können Beschäftigte selbst für ihre mentale Gesundheit tun? Und welche Vorteile bringt ein psychisch gesunder Arbeitsplatz für beide Seiten?

Verantwortung der Arbeitgeber:innen

Arbeitgeber:innen tragen eine große Verantwortung, psychische Gesundheit am Arbeitsplatz zu schützen und zu fördern. Gesetzlich sind sie verpflichtet, für sichere Arbeitsbedingungen zu sorgen – dazu gehört heute auch, psychosoziale Risiken wie Stress, Überlastung oder Mobbing in den Blick zu nehmen. Zum betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) zählen Maßnahmen, die sowohl körperliche als auch mentale Gesundheit der Mitarbeitenden fördern. Eine von der EU-OSHA (Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz) beauftragte Umfrage zeigte kürzlich, dass fast die Hälfte der Arbeitnehmer:innen sich am Arbeitsplatz dauerhaft unter starkem Zeitdruck oder überlastet fühlt [2]. Rund 30 % nannten mindestens eine gesundheitliche Beschwerde (wie ständige Erschöpfung oder Kopfschmerzen), die durch die Arbeit verursacht oder verschlimmert wurde [2]. Diese Zahlen machen deutlich, dass Handlungsbedarf besteht und Betriebe proaktiv werden müssen.

Ein ganzheitliches Gesundheitsmanagement und eine präventive Unternehmenskultur können hier entgegenwirken. Konkret können Arbeitgeber:innen zum Beispiel Folgendes tun:

  • Psychosoziale Risiken analysieren: Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung systematisch erheben, welche psychischen Belastungen (z.B. hoher Arbeitsdruck, unklare Aufgaben, schlechte Arbeitsorganisation) vorliegen, und Maßnahmen zu deren Reduktion ergreifen.
  • Offene Kommunikation fördern: Eine Unternehmenskultur schaffen, in der über Stress, Ängste oder psychische Probleme gesprochen werden kann, ohne dass dies stigmatisiert wird. Führungskräfte sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen und aktiv zuhören.
  • Unterstützungsangebote bereitstellen: Zum Beispiel Schulungen zur Stressbewältigung, Resilienztrainings oder Coaching anbieten. Auch Employee-Assistance-Programme (EAP, also externe Mitarbeiterberatungsangebote) oder andere anonyme Beratungsstellen können helfen. Laut einer EU-OSHA-Erhebung berichten jedoch bisher nur etwa 42 % der Beschäftigten, dass ihr Unternehmen Informationen und Schulungen zu Themen wie Wohlbefinden und Stress anbietet [2] – hier gibt es also noch Luft nach oben.
  • Work-Life-Balance ermöglichen: Durch flexible Arbeitszeiten, Möglichkeiten für Homeoffice oder klare Regelungen zur Erreichbarkeit können Arbeitgeber dazu beitragen, dass Mitarbeitende ausreichend Zeit für Erholung und Privatleben haben. Eine gute Balance beugt chronischem Stress vor.
  • Gesunde Arbeitsbedingungen gestalten: Dazu gehören angemessene Arbeitslast und Personalplanung, klare Rollen und Verantwortlichkeiten, Wertschätzung für gute Arbeit und ein entschiedenes Vorgehen gegen Mobbing oder Belästigung am Arbeitsplatz.

All diese Ansätze dienen nicht nur dem Schutz vor Burnout und psychischen Erkrankungen, sondern verbessern auch das Betriebsklima. Wichtig ist, dass Maßnahmen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern von den Führungskräften aktiv unterstützt und vorgelebt werden. Beschäftigte merken schnell, ob Unternehmen das Thema psychische Gesundheit am Arbeitsplatz ernst nehmen oder nur aus Imagegründen darüber reden.

Handlungsmöglichkeiten der Beschäftigten

Auch die Mitarbeitenden selbst können und sollten etwas für ihre mentale Gesundheit im Job tun. Natürlich liegt die Hauptverantwortung dafür, gesunde Arbeitsbedingungen zu schaffen, beim Arbeitgeber – doch Beschäftigte sind nicht machtlos. Sie können im Alltag bewusst darauf achten, sich psychisch nicht zu überlasten, und frühzeitig gegensteuern, wenn der Stress überhandnimmt. Hier ein paar Möglichkeiten, wie man als Arbeitnehmer:in selbst aktiv werden kann:

  • Offen kommunizieren: Mit Vorgesetzten über Arbeitsbelastungen oder Probleme sprechen. Oft lassen sich Lösungen finden – etwa eine neue Priorisierung von Aufgaben, Unterstützung durch Kolleg:innen oder eine Anpassung der Ziele. Vielen Führungskräften ist gar nicht bewusst, wenn Mitarbeitende überlastet sind, solange nichts angesprochen wird. Wichtig dabei: Ein respektvoller, konstruktiver Ton im Gespräch zahlt sich aus.
  • Unterstützungsangebote nutzen: Falls das Unternehmen bereits Angebote wie Workshops zur Stressbewältigung, Meditation, Sportgruppen oder psychologische Beratung hat, diese in Anspruch nehmen. Sie sind dazu da, um genutzt zu werden. Wer persönlich Unterstützung braucht, sollte auch nicht zögern, externe Hilfe (z.B. eine:n Therapeut:in oder Coach) in Betracht zu ziehen.
  • Grenzen setzen und Pausen einhalten: Auf das eigene Stresslevel achten. Überstunden sollten die Ausnahme bleiben, und auch im Homeoffice ist es wichtig, abends abzuschalten. Sich in hektischen Phasen kurze Auszeiten zu gönnen, sich zu bewegen und durchzuatmen ist wichtig. Solche Erholungspausen erhöhen die Konzentration und helfen, nicht auszubrennen.
  • Austausch suchen: Mit Kolleg:innen über Stressfaktoren sprechen – wahrscheinlich stehst du nicht allein da. Gemeinsam lässt sich vielleicht Druck reduzieren, etwa indem man Aufgaben neu verteilt oder sich gegenseitig unterstützt. Der Rückhalt im Team kann belastende Situationen erheblich entschärfen.
  • Eigene Stresskompetenz stärken: Man kann lernen, besser mit Stress umzugehen. Entspannungstechniken (wie progressive Muskelentspannung oder Atemübungen), Zeitmanagement-Methoden oder das Führen eines Stress-Tagebuchs können helfen, gelassener zu bleiben. Auch der Ausgleich in der Freizeit – ob Sport, Hobbys oder Zeit mit Freund:innen – ist Teil der Selbstfürsorge.

Zum Glück wird psychische Gesundheit am Arbeitsplatz immer weniger zum Tabuthema. Laut einer EU-OSHA-Umfrage finden 59 % der Beschäftigten, dass es seit der Corona-Pandemie einfacher geworden ist, über mentale Probleme bei der Arbeit zu sprechen, doch knapp die Hälfte hat weiterhin Bedenken, dass Offenheit über psychische Probleme der eigenen Karriere schaden könnte [2]. Hier können Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie offen und unvoreingenommen über ihr Wohlbefinden reden – und damit dazu beitragen, die Scham und Stigmatisierung weiter abzubauen. Jede offene Diskussion schafft ein Stück mehr Normalität.

Mentale Gesundheit im Job: Vorteile für Unternehmen und Beschäftigte

Ein psychisch gesunder Arbeitsplatz bringt letztlich allen etwas – Beschäftigten und Arbeitgebenden. Geht es den Mitarbeiter:innen gut, profitiert auch das Unternehmen. Umgekehrt gilt: Dauerhafter Stress und psychische Erkrankungen fügen beiden Seiten Schaden zu. Hier einige zentrale Vorteile, die eine Kultur der guten mentalen Gesundheit im Job mit sich bringt:

  • Weniger Fehlzeiten und Krankheitskosten: Psychische Erkrankungen zählen in Deutschland seit Jahren zu den häufigen Gründen für längere Fehlzeiten. Umgekehrt führen Maßnahmen für mehr Wohlbefinden zu weniger Krankheitstagen. Untersuchungen zeigen, dass engagierte, zufriedene Mitarbeiter:innen sich deutlich seltener krankmelden – um rund 30 bis 40 % weniger im Vergleich [3]. Weniger Ausfalltage bedeuten weniger Produktivitätsverlust und geringere Kosten für Vertretungen.
  • Höhere Produktivität und Qualität der Arbeit: Wer sich am Arbeitsplatz wohl und wertgeschätzt fühlt, kann motivierter und konzentrierter arbeiten. Einer Analyse zufolge sind engagierte Mitarbeitende bis zu 25 % produktiver und machen 50 % weniger Fehler [3]; auch kreative Ideen und Innovationskraft gedeihen eher in einem positiven, stressfreien Umfeld.
  • Bessere Mitarbeiterbindung und Arbeitgeberattraktivität: Ein Unternehmen, das auf die psychische Gesundheit seiner Leute achtet, zeigt Wertschätzung und erhält im Gegenzug Loyalität. Gerade jüngere Generationen achten bei der Jobwahl stark auf solche Angebote: Eine Studie zeigt, dass 60 % der sogenannten Generation Z Ressourcen für mentale Gesundheit als wichtiges Kriterium bei der Wahl ihres Arbeitgebers ansehen [3]; ebenso spielen solche Initiativen eine wichtige Rolle dabei, ob Beschäftigte dem Unternehmen treu bleiben. Investitionen in ein gesundes Arbeitsumfeld zahlen sich also in der Rekrutierung und Bindung von Talenten aus.
  • Positives Betriebsklima und Motivation: Wenn psychische Gesundheit ernst genommen wird, wirkt sich das auf die gesamte Unternehmenskultur aus. Ein offenes, vertrauensvolles Klima fördert den Teamgeist. Mitarbeitende, die sich sicher fühlen, können Probleme früher ansprechen, statt unmotiviert „Dienst nach Vorschrift“ zu schieben oder innerlich zu kündigen. Langfristig führt das zu höherem Engagement und besserer Arbeitsleistung.

Nicht zuletzt zahlt sich Prävention auch volkswirtschaftlich aus: Wenn weniger Menschen durch ihre Arbeit psychisch erkranken, spart das enorme Kosten und entlastet das Gesundheitssystem [1]. Umgekehrt hat die Corona-Pandemie verdeutlicht, wie sehr Stress und Unsicherheit die Psyche belasten können – in einer EU-weiten Befragung berichteten 44 % der Beschäftigten, dass ihr arbeitsbedingter Stress seit COVID-19 zugenommen hat [2]. Dieses Ausmaß an Belastung können wir uns auf Dauer nicht leisten, weder menschlich noch wirtschaftlich.

Fazit

Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz geht uns alle an. Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen teilen sich die Verantwortung, den Arbeitsalltag menschlich zu gestalten. Während Unternehmen die Rahmenbedingungen schaffen müssen – von fairer Arbeitsorganisation bis zum Angebot von Unterstützung – können Beschäftigte durch offenen Dialog und Selbstfürsorge mitwirken. Am Ende sitzen beide im selben Boot: Eine gesunde, motivierte Belegschaft ist die Grundlage für nachhaltigen Unternehmenserfolg und für zufriedenere Menschen.

Der Nationale Tag des Betrieblichen Gesundheitsmanagements erinnert daran, wie wichtig dieses Zusammenspiel ist – und kann als Anstoß dienen, öfter über gemeinsame Schritte für mehr mentale Gesundheit im Job zu sprechen. Jeder Schritt in Richtung eines gesunden, wertschätzenden Arbeitsumfelds ist ein Gewinn – für jede:n Einzelnen und für die gesamte Arbeitswelt.

Quellen:
[1] EU-OSHA: Psychosoziale Risiken und psychische Gesundheit.  
[2] EU-OSHA: European Survey of Enterprises on New and Emerging Risks (ESENER), 2022.
[3] Gallup Engagement Index, TK Stressstudie, Deloitte Mental Health & Wellbeing at Work Report, 2023.