Stress

Beziehung im Dauerstress: Warum ihr mehr streitet – und wie ihr wieder zueinander findet

Fachlich geprüft von

Inês Lopes

Stress ist ein allgegenwärtiges Phänomen in unserem modernen Leben. Ob durch die Arbeit, familiäre Verpflichtungen, finanzielle Sorgen oder gesundheitliche Probleme – Stress kann viele Ursachen haben. Dabei hat Stress auch erhebliche Auswirkungen auf unsere Partnerschaften. Wenn der Alltag von Belastungen geprägt ist, kann dies schnell zu Konflikten, Missverständnissen und einer emotionalen Distanz zwischen dir und deinem Partner oder deiner Partnerin führen.

In diesem Artikel erfährst du, wie sich Stress auf eure Beziehung auswirken kann und wie ihr gemeinsam Wege finden könnt, eure Partnerschaft trotz stressiger Zeiten zu stärken. Dabei schauen wir uns unter anderem den sogenannten Zwangsprozess in Partnerschaften nach Patterson an, um die oft entstehende Abwärtsdynamik zu erklären. Auch stellen wir dir das 5:1-Prinzip nach Gottman vor, das helfen kann, wieder ein gutes Miteinander aufzubauen.

Die unsichtbare Last: Wie Stress die Partnerschaft belastet

Stress ist nicht nur eine individuelle Herausforderung – er wirkt sich auch auf die Beziehungsebene aus. Wenn du oder dein:e Partner:in gestresst seid, entstehen oft Spannungen, die sich auf verschiedene Weise äußern können:

  • Kommunikationsprobleme: In stressigen Phasen neigen viele Menschen dazu, sich zurückzuziehen oder gereizt zu reagieren. Dies kann schnell zu Missverständnissen und einer belasteten Kommunikation führen. Vielleicht fühlst du dich missverstanden, nicht gehört oder weniger wertgeschätzt, was die emotionale Distanz verstärken kann.
  • Weniger Zeit füreinander: Stress raubt Energie und Zeit. In stressigen Zeiten rückt die Partnerschaft oft in den Hintergrund, da der Fokus auf das Bewältigen der Herausforderungen gelegt wird. Dadurch bleiben gemeinsame Aktivitäten, Gespräche und Zweisamkeit auf der Strecke.
  • Zunahme von Konflikten: Stress macht uns reizbarer und weniger geduldig. Kleine Missverständnisse oder alltägliche Differenzen können sich schnell zu größeren Konflikten aufschaukeln. Es entsteht das Gefühl, ständig aneinander zu geraten, was die Harmonie in der Partnerschaft stört.
  • Körperliche und emotionale Distanz: Stress kann auch körperliche Auswirkungen haben, wie Schlafstörungen oder ein geschwächtes Immunsystem. Diese körperliche Erschöpfung kann dazu führen, dass die körperliche Nähe und Intimität in der Partnerschaft nachlässt. Zudem führt Stress oft dazu, dass wir emotional weniger präsent sind und uns weniger auf den Partner oder die Partnerin einlassen können.

Der Zwangsprozess in Partnerschaften nach Gerald Patterson

Gerald Patterson, ein renommierter Psychologe, beschreibt in seiner Theorie des Zwangsprozesses (englisch: Coercion Theory), wie sich negative Interaktionsmuster in Partnerschaften entwickeln und festigen können. Der Zwangsprozess beschreibt einen Teufelskreis, in dem negative Verhaltensweisen und Reaktionen innerhalb der Partnerschaft immer stärker zunehmen.

Stell dir vor, du bist gestresst von der Arbeit und kommst gereizt nach Hause. Dein:e Partner:in merkt, dass du schlecht gelaunt bist, und spricht dich darauf an. Vielleicht reagierst du patzig oder ziehst dich zurück. Dein:e Partner:in fühlt sich dadurch abgelehnt und reagiert seinerseits/ihrerseits mit Vorwürfen oder ebenfalls mit Rückzug. Dadurch entsteht ein negativer Kreislauf, in dem beide Partner:innen auf die negativen Verhaltensweisen des oder der anderen reagieren und sich gegenseitig immer weiter hochschaukeln.

Der Zwangsprozess kann verschiedene Formen annehmen, von offenen Streitereien bis hin zu subtileren Formen von emotionaler Distanz und passiven Aggressivität. Das Problem dabei ist, dass diese negativen Interaktionen zur Norm werden können und sich die Beziehung allmählich in eine Spirale von Frustration und Entfremdung bewegt.

Die Auswirkungen des Zwangsprozesses auf die Beziehung

Wenn der Zwangsprozess einmal in Gang gesetzt ist, wird es schwierig, aus diesem negativen Kreislauf auszubrechen. Die Beziehung wird zunehmend von negativen Interaktionen geprägt, und die positiven Momente werden seltener. Es entsteht das Gefühl, in einer Dauerschleife von Konflikten und Frustration gefangen zu sein. Langfristig kann dies zu einer emotionalen Erschöpfung führen, die das Fundament der Partnerschaft ins Wanken bringt.

Ein weiteres Problem ist, dass der Zwangsprozess oft unbewusst abläuft. Beide Partner:innen sind sich möglicherweise gar nicht bewusst, dass sie in einem negativen Interaktionsmuster gefangen sind, und versuchen vergeblich, das Verhalten des anderen zu ändern, ohne an der tieferliegenden Dynamik zu arbeiten. Dies kann zu einem Gefühl der Hilflosigkeit führen, da jeder Versuch, die Situation zu verbessern, eher im Gegenteil endet.

Möglichkeiten zur Verbesserung der Partnerschaft: Das 5:1-Prinzip nach John Gottman

Zum Glück gibt es Wege, aus diesem negativen Kreislauf auszubrechen und die Beziehung wieder in positive Bahnen zu lenken. Einer der bekanntesten Beziehungsexpert:innen, John Gottman, hat herausgefunden, dass das Verhältnis von positiven zu negativen Interaktionen in einer Partnerschaft entscheidend für deren Erfolg ist. Er spricht vom sogenannten 5:1-Prinzip.

Das 5:1-Prinzip besagt, dass glückliche und stabile Partnerschaften in der Regel durch ein Verhältnis von fünf positiven zu einer negativen Interaktion gekennzeichnet sind. Das bedeutet nicht, dass es in einer gesunden Beziehung keine Konflikte geben darf. Aber die positiven Momente – sei es ein liebevolles Wort, eine nette Geste oder einfach ein gemeinsames Lachen – sollten deutlich überwiegen. Diese positiven Interaktionen stärken die emotionale Verbindung und sorgen dafür, dass negative Erlebnisse oder Konflikte nicht das Gleichgewicht der Beziehung ins Wanken bringen.

Wie ihr das 5:1-Prinzip in eurer Beziehung umsetzen könnt

Um das 5:1-Prinzip in eurer Beziehung zu etablieren, gibt es einige praktische Ansätze, die ihr ausprobieren könnt:

  • Bewusste Wertschätzung zeigen: Nehmt euch bewusst Zeit, um einander zu loben und eure Wertschätzung auszudrücken. Kleine Komplimente und Dankbarkeit für alltägliche Dinge können einen großen Unterschied machen.
  • Gemeinsame Aktivitäten pflegen: Schafft bewusst Raum für gemeinsame Aktivitäten, die euch Freude bereiten. Ob ein Spaziergang, ein gemeinsames Hobby oder ein Spieleabend – positive Erlebnisse stärken eure Bindung.
  • Achtsamkeit im Alltag: Achtsamkeit bedeutet, den Moment bewusst zu erleben und auf die Bedürfnisse der Partner:in einzugehen. Dies kann auch bedeuten, aktiv zuzuhören und dem Gegenüber wirklich Aufmerksamkeit zu schenken, wenn er oder sie über Sorgen spricht.
  • Konflikte konstruktiv angehen: Konflikte sind unvermeidlich, aber es kommt darauf an, wie man damit umgeht. Versucht, Konflikte mit Respekt und Geduld zu lösen, ohne den anderen zu verletzen. Eine konstruktive Kommunikation kann dazu beitragen, dass negative Interaktionen nicht eskalieren.
  • Kleine Gesten der Zuneigung: Zärtliche Berührungen, ein Lächeln oder eine Umarmung – kleine Gesten der Zuneigung können eine große Wirkung haben und die emotionale Nähe stärken.

Fazit

Stress gehört zum Leben dazu, und es ist ganz normal, dass er auch Einfluss auf eure Partnerschaft hat. Wichtig ist jedoch, dass ihr euch dieser Herausforderung bewusst stellt und gemeinsam Wege findet, mit Stress umzugehen, ohne dass eure Beziehung darunter leidet.

Indem ihr gemeinsam an eurer Beziehung arbeitet, könnt ihr auch stressige Phasen als Team bewältigen und gestärkt daraus hervorgehen. Am Ende zählt, wie ihr als Paar miteinander umgeht und euch gegenseitig unterstützt. So wird eure Partnerschaft nicht nur den Belastungen des Alltags standhalten, sondern auch langfristig wachsen.